Die musikgewordene Ghetto-Version eines John Wu-Klassikers. (2024)

laut.de-Kritik

Die musikgewordene Ghetto-Version eines John Wu-Klassikers.

Review von Stefan Johannesberg

Schule schwänzen, Holsten zischen, im Keller kiffen, Kopf nicken, Amiga kicken - only built 4 Dreier Abi 95. Sorry, Mutti, I'm "Striving For Perfection", aber welcher Halbstarke geht am Nachmittag schon gerne zu Reli oder Mathe, wenn ihm Raekwon von "Knowledge God" erzählt? "Yo why's my nigg*s always yellin that broke sh*t / Let's get money Son, now you wanna smoke sh*t / Chill God, yo the Son don't chill Allah / What's today's mathematic Son? Knowledge God"

Eben - auch wenn man außer "Chill God" nicht wirklich was verstanden hatte. Und während sich der Wu-Tang-Chefkoch und sein kongenialer Ghostface-Buddy hörbar das co*ke ins linke Nasenloch schniefen – nur um dann über ein klassisches Kopfnicker-Gericht mit leckerem Loop-Allerlei vom RZA großes Kung-Fu-Mafia-Drogen-Kino ins verrauchte Vorortzimmer zu jagen – stehen genau dort Bier und präparierte Cola-Flasche für die "Hausaufgaben" parat. Wie gesagt, der Kopf nickt, die Entspannung steigt und alle adlippen: "Italiano, slanted-eyed bangin them fat Milano". Ja, Mutti, wir können besser mit Musik lernen und danke für die Schnittchen.

Zwei Jahre und Jahrgänge zuvor tönten im besagten Kinderzimmer - genau wie bei 3er BMWs, Alternative-Discos und Jugendzentren - noch Westcoast-Lowrider von Cypress Hill, Dr. Dre oder Ice Cube aus den offenen Fenstern. Als jedoch ein Jahre später das Clan-Debüt die G-Funk-Grundfesten der Kassettendecks bis auf die letzte Spule erschütterte, war die kleine Welt eine andere. Die zwei Wu-Mitglieder ODB und Method Man legten high nach, doch erst Raekwons erstes Solowerk "Only Built 4 Cuban Linx…" sorgte 1995 für den finalen "Black Sunday" der Kollegen aus Compton und Co - als deren entspannte Cruise-Alben regelrecht aus den Stereoanlagen flogen. "The Purple Tape" war da.

Die bis heute ungebrochene Faszination des Albums hat viele Facetten, aber nur einen Kern: "OB4CL" ist die musikgewordene Ghetto-Version eines John Wu-Klassikers ("The Killer"-Samples anbei). Raekwon und Ghostface erzählen teils wahre, teils komplett überspitzte Drogengeschichten aus dem Mafia-Umfeld (In der Wu-Home Base Staten Island/ New York wohnen auch ein paar bekannte "Paten") und hauen dir Slang-Ausdrücke inklusiver komplexer Bilder um die Ohren. "Stand on the block Reebok gun co*cked / Avalance rock get paid off mass murderous services / Chef break em, watch the alley cats bake em" ("Glaciers Of Ice").

Da es damals weder wikipedia noch rapgenius.com gab, waren Text und Verständnis oftmals zwei verschiedene Paar Clarks – und auch nicht wichtig. Das Duo, unterstützt vom Clan und Nas, rappt so tight wie Jay-Z und Missy gerne wären - "Me and Missy be the new Tag Team / "Whoomp! There It Is" / We like, Rae & Ghost, A.G. and Show" – und der RZA holt einen dichten, vielschichtigen Soundteppich aus den Tiefen seines Studios, der nicht den kleinsten Spalt öffnete wie Bruce Lees Deckung. Die Drums pumpen straight, der Bass füllt Bäuche, die Loops kommen und gehen, brechen und strahlen, und der halbstarke Head nickt sich mit Supergangster-Kopfkino ins Outta-Space.

"Ricaans be givin me much sh*t, the dutch sh*t / Stay cool papi, seize it with enough sh*t" ("Wu-Gambinos"). Scheiß doch auf unsere Vorstadt-Weißbrote der Klasse '95, wenn sich der gnadenlose, hypnotisierende, immer leicht versetzte Jahrhundert-Beat bei "Criminology" auf "Rainy Dayz" die scharfen Streicher-Synthies in die Nerven schneiden, Nas-Rae-Ghost auf "Verbal Intercource" ohne Tricks mal eben Rap neu erfinden und zum Schluss dem bösen Taten auf "Heaven And Hell" und "North Start" to the smoothest abgeschworen wird.

Die Hip Hop-Beef-Dramatik erkannten viele Jünglinge damals nicht, wer lauscht schon vollgedröhnt oder mit Ellenbogen-raus dem "Shark nigg*z"-Skit des "Purple Tapes" ("Only Built…" kam zur CD auch als lila Kassette auf den Markt), auf dem sich Rae und Ghost über Notorious BIG auslassen. Kollege Nas beschrieb es Jahre später auf "Last Real nigg*s Alive" so: "BIG was ahead of his time, him and Raekwon / My nigg*s, but dig it, they couldn't get along / That's when Ghostface said it on the Purple tape / Bad Boy biting Nas album cover, wait / BIG told me Rae was stealing my slang / And Rae told me out in Shaolin BIG would do the same thing / But I borrowed from both them nigg*s."

Und nicht nur Nas war "Only Built 4 Cuban Linx" und wurde von diesem Werk beeinflusst. Rapper wie Pusha T oder selbst Stars wie Kanye West klängen heute anders. So diktierte Dr. Dre einem deutschen Magazin um die 2000er Wende sinngemäß in den Tape-Rekorder: "Raekwons erstes Album ist zeitlos und zünde mir heute noch eine Sportzigarette dazu an." Im 2012er Update der "500 Greatest Albums Of All Time" des Rolling Stone-Magazins landete "Cuban Linx" auf Platz 480. Den benebelten Gymi-Spasten aus dem Keller war das damals ziemlich Latte, sobald der nächste Fressflash kam. Ey yo, geh mal nach oben auf die Straße, Digga: "The Ice Cream Man is coooming!"

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Die musikgewordene Ghetto-Version eines John Wu-Klassikers. (2024)
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Author: Horacio Brakus JD

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